Workshop zum Thema:
„Zur Ethik autonomer Fahrerassistenzsysteme“
mit
Prof. Dr. rer. nat. Stefan-Alexander Schneider (Hochschule Kempten, Fachbereich Elektrotechnik)
- Januar 2020 von 09.00 Uhr – 15.00 Uhr
Mobilität, die Beweglichkeit von Personen und Gütern, scheint ein Grundbedürfnis der Menschheit zu sein. Eine nomadische Lebensweise vergrößerte offensichtlich den Aktionsradius, um an z.B. Nahrung oder frisches Wasser zu kommen. Das erweiterte Angebot erwies sich als evolutionärer Vorteil. In Zeiten von Massentourismus und globalen Warenströmen verschafft sich der Nomade in uns immer noch Geltung. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum unser Bewegungsapparat mit ca. 200 Knochen und 400 Muskeln ausgelegt ist, um durchschnittlich Distanzen von täglich mehr als 20 Kilometern zu bewältigen.
Der Wunsch, sich weiter bewegen zu können und damit einhergehend dann auch schneller zu agieren, zeigt sich schon in den Vorstellungen eines märchenhaften fliegenden Teppichs. Allerdings warnten Experten im 19. Jahrhundert davor, dass Menschen ernsthaft Schaden nehmen würden, wenn sie mit der Eisenbahn schneller als 30 km/h fahren. Sollen noch weitere Ziele oder gar größere Lasten transportiert werden, benötigen wir zusätzliche Mittel und Wege im wahrsten Sinne des Wortes: Diese Aufgaben konnten z. B. von domestizierten Tieren, v. a. von Pferden, übernommen werden. Schwere Lasten konnten alternativ mit Rollen auf ebenen Wegen transportiert werden.
Der Einsatz von Rädern, die beliebig oft drehbar waren, wurde erstmals im 5. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien nachgewiesen. Und in Gewässern boten sich Flöße dafür an. Es ist daher sehr plausibel, dass sich der Begriff Fahrzeug von dem niederländischen Begriff vaartuig für Boot oder Schiff ableitet und in diesem Sinn über Reisebeschreibungen des 17. Jahrhunderts ins Hochdeutsche übernommen wurde.
Der Begriff Automobil steht für einen Selbstbeweger im Sinne eines unabhängig von der eigenen Muskelkraft angetriebenen Fahrzeugs. Alle anderen Fahraufgaben, wie das Lenken, Beschleunigen und Bremsen sowie deren Überwachung blieben zunächst als sogenannte Fahraufgaben beim Fahrzeugführer. Als Fahrzeugführer werden heute noch die Personen bezeichnet, die ein Fahrzeug in Bewegung setzen, in Fahrt halten und leiten, indem sie die Richtung bestimmen. Im Laufe der Zeit gesellten sich viele weitere Fahraufgaben dazu, wie z. B. die Einhaltung von Höchstgeschwindigkeiten.
Ein Werkzeug wie ein Tachometer, ein einfaches Assistenzsystem, half dabei dem Fahrzeugführer bei der Einschätzung der Fahrzeuggeschwindigkeit. Oftmals wurden diese zusätzlichen Aufgaben zunächst an einen weiteren Menschen, einen Assistenten delegiert: z. B. an den Chauffeur, der seinen Namen vom Anheizen der dampfgetriebenen Fahrzeuge erbte. Im Laufe der Zeit hatte dieser „Heizer“ während der Fahrt immer mehr Aufgaben zu übernehmen. Später musste er dann »nur« noch fahren: Aus dem Chauffeur wurde der Fahrer. Diese und viele andere Fahraufgaben beanspruchten mehrere Fertigkeiten, wie z.B. den Einsatz körperlicher Kraft zum Lenken – die Servolenkung musste erst noch erfunden werden – und die Umsicht, beim Anzeigen der Fahrtrichtungsänderung während des Abbiegens niemandem die Vorfahrt zu nehmen. Kennen Sie die heute noch anzuwendenden Handzeichen, wenn alle Systeme ausgefallen sind? Hand aufs Herz!
In dem Maße wie der Fahrer Fahraufgaben an das Fahrzeug abgibt, muss das Fahrzeug auch die Verantwortung vom Fahrer übernehmen. Diese Verantwortung geht damit schrittweise auch auf den Hersteller über. Nur wie? Können wir autonome Automobile, also aus dem Griechischen Wort für Wort übersetzt „sich selbst gesetzgebende Selbstbeweger“ wirklich wollen? Wie sollen Fahrzeuge so programmiert werden, dass sie in der unüberschaubaren Vielfalt von möglichen Verkehrssituationen selbst stets das mustergültige Verhalten aussuchen, insbesondere in Situationen, in denen Personenschäden unvermeidbar sind?
Diese sogenannten Dilemma-Situationen stellen die Hersteller vor eine ethische Herausforderung: Utilitaristische Prinzipien zur qualitativen oder quantitativen Maximierung des Gemeinschaftswohls, wie sie von Versicherungen angewendet werden, stehen im Widerspruch zu Artikel 1 des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Eine Abwägung ist damit prinzipiell nicht möglich. Da der Widerspruch, von welchem Prinzip sich nun die autonomen Fahrzeuge leiten lassen sollen, nicht zu lösen ist, müssen wir uns als Gesellschaft entscheiden, wie die Algorithmen in den Fahrzeugen zu programmieren sind.
Zwar sind in der bisherigen Fahrpraxis diese Dilemma-Situationen nur in Ausnahmefällen beobachtet worden und wir hegen die Hoffnung, dass solche Ausnahmesituationen aufgrund der verbesserten Technologie in Zukunft nicht mehr auftreten werden, doch können wir nicht ausschließen, dass andere, bisher noch nicht vorhergesehene kritische Situationen entstehen könnten. Und genau für diese potenziellen Fälle müssen wir uns als Gesellschaft aufstellen und den Herstellern verbindliche Vorgaben machen, wie die autonomen Fahrzeuge im Zweifelsfall zu reagieren haben.
Ein erster Schritt in Deutschland war die Einberufung einer Ethik-Kommission für automatisiertes und vernetztes Fahren. Der Bericht wurde im Juni 2017 vorgelegt und enthält im Wesentlichen 20 Regeln, die als technische Entwicklungsleitlinien verstanden werden wollen. Diese Leitlinien bilden somit den gesellschaftlichen Konsens für die Softwarearchitekten und die Softwareentwickler der automatisierten Fahrzeuge. Die deutsche Automobilindustrie ist sich einig, dass für die Absicherung und Freigabe höherer Automatisierungsgrade ein einheitliches Vorgehen im Bereich Test und Erprobung notwendig ist.
Daher hat der Bundestag u.a. das Projekt PEGASUS (Projekt zur Etablierung von Generell Akzeptierten Gütekriterien, Werkzeugen und Methoden sowie Szenarien und Situationen zur Freigabe hochautomatisierter Fahrfunktionen) beschlossen. Das Projekt wurde gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit dem Ziel, ein Vorgehen für das Testen automatisierter Fahrfunktionen zu entwickeln, um so die rasche Einführung des automatisierten Fahrens in der Praxis zu ermöglichen.
In diesem Seminar wollen wir uns mit der Frage der Verantwortung auseinandersetzen und eine Alternative zu den 20 Regeln der Ethik Kommission entwerfen.