Niko Paech über „Wendepunkte der Zivilisation“: Video und Bericht



Wer den Namen Niko Paech hört, denkt vermutlich sofort an die Postwachstumsdebatte in Deutschland. Nicht zu Unrecht, schließlich ist Paech hierzulande deren wohl prominentester Vertreter. Damit wäre allerdings nur eine Seite Paechs genannt: Im Video-Vortrag mit den Augsburger Studierenden und Dozierenden am 28. Oktober 2020 referierte er zunächst als wachstumskritischer Wirtschaftswissenschaftler über die Notwendigkeit einer ökonomischen Wende. Zugleich stellte er als fröhlicher Suffizienz-Pionier seine konkreten Vorschläge für deren Umsetzung vor und plauderte dabei auch als leidenschaftlicher Fahrrad- und Computerbastler aus dem eigenen postwachstumspraktischen Nähkästchen.

Wende zum Weniger

Blickt Paech auf unser heutiges Leben und Wirtschaften, beobachtet er Entwicklungen, die ihn zu dem Schluss kommen lassen: So wie jetzt kann es angesichts der endlichen Ressourcen unseres Planeten nicht lange weitergehen – zumindest nicht ohne gravierende Folgen für Ökologie und Gesellschaft. Ein Fortsetzen der aktuellen Lebens- und Wirtschaftsform bezeichnet er deswegen als „ökosuizidal“. Diese Erkenntnis stellt den ersten der acht Beobachtungen dar, die Paech aufgrund ihrer Bedeutung und Dringlichkeit als zivilisatorische „Wendepunkte“ bezeichnet.

In einem kurzweiligen Vortrag über diese acht Wendepunkte brachte er den Studierenden und Dozierenden die Grundzüge seiner ökonomischen Gesellschaftsanalyse näher. Neben einer Auflistung der Probleme des aktuellen Wirtschaftssystems liefert Paech vor allem auch einen Lösungsvorschlag: die Postwachstumsgesellschaft. In dieser „Ökonomie des Weniger“ solle anstelle des Wachstums die Resilienz als oberstes Ziel stehen, also die Fähigkeit einer Gesellschaft, auch in Krisensituationen – wie etwa der Corona-Pandemie – überlebensfähig zu bleiben. Als die vier Hauptmerkmale eines solchen post-wachstumsorientierten Wirtschaftens nennt er Genügsamkeit (Suffizienz), Selbstversorgung (Subsistenz), Nahversorgung im Sinne einer regionalen Ökonomie und eine kleine, ökologisch optimierte Industrie. Wohlstand, Fortschritt und Globalisierung schließt dieses Modell keineswegs aus, interpretiert sie allerdings völlig neu.

Ethische Dimensionen einer Postwachstumsgesellschaft

Diese Neuinterpretation deutet bereits an, dass sich Paechs Gesellschaftsvision keineswegs „nur“ um das Umstrukturieren unseres Wirtschaftssystems dreht. Hand in Hand mit der Frage nach einem verantwortungsvollen Wirtschaften gehen die grundlegenden ethischen Fragen danach, wie ein ‚gutes‘ oder ‚gelingendes‘ Leben aussehen und wie der Mensch ‚richtig‘ handeln kann. Eine Veränderung der ökonomischen Ausrichtung einer Gesellschaft hat enormen Einfluss auf deren zwischenmenschliches Miteinander.

Damit ist das – laut Niko Paech – zentrale soziale Problem des 21. Jahrhunderts zur Debatte gestellt: Wer darf sich noch mit welchem Recht wie viel materielle Freiheiten nehmen, ohne ökologisch und sozial über seine*ihre Verhältnisse zu leben?

Die Antworten darauf versucht er wachstumskritisch in seinen Lösungsvorschlägen zu liefern. Paech betont dabei, dass die ökologisch dringend notwendige Reduktion des Konsums, die er fordert, auch einen sozialen wie individuellen (Rück-)Gewinn an Lebensqualität leisten kann.

Fragen und Antworten

Das bedeute aber keine bevormundende Politik wie beispielsweise in der DDR, die rigorose Beschränkungen einführte, um ihre Ziele zu erreichen, hebt er auf Nachfrage hervor. Die in der DDR etwa gut vorhanden gewesenen Reparatur-Netzwerke der Bürger*innen könne gerade in einer klassisch demokratischen Gesellschaft ihr ganzes kreatives Potential erst richtig entfalten, indem Wert auf Prinzipien wie Freiheit und Beweglichkeit gesetzt werde.

Bestes Beispiel seien die heute bereits vorhandenen vielfältigen Formen aktiver Postwachstumspraxis. Der Sorge nach der Umsetzbarkeit seiner Ideen in der Gegenwart hält er die breite Palette unterschiedlicher Lebensstile und Ideen entgegen, die sich aktuell in Deutschland schon in wachstumskritischer „Pionier“-Arbeit ausbreiten und Anreiz für andere bieten können. Als Beispiel dafür nennt er das Versorgungsmodell der Solidarischen Landwirtschaft.

Für diese Pionierarbeit brauche es das nötige Fachwissen. Den Bildungssektor nimmt Paech deswegen kritisch unter die Lupe und diagnostiziert eine „Überakademisierung“, die er als Symptom und Gefahr für die aktuelle Gesellschaft deutet. Dringend nötig für eine resiliente, krisenbeständige Gesellschaft sei eine Aufwertung des Handwerks und der Landwirtschaft.

Damit könne auch der zunehmenden Entfremdung und den Erschöpfungserscheinungen der Konsumgesellschaft entgegengewirkt werden. Die Frage, inwiefern der heute empfundenen fehlenden Selbstwirksamkeit vieler entgegengewirkt werden könne, beantwortet er mit seiner Hoffnung auf einen neuen, vertrauteren Bezug zu und Umgang mit den Produkten, den die Postwachstumsgesellschaft verspricht.

Wie sieht es bei diesem neuen Umgang dann mit Eigentum und mit der gerechten Verteilung von Besitz aus? Paechs Vorstellungen weisen in eine Richtung, in der Vermögensspitzen gekappt und Gemeinnutzung stärker gemacht werden soll. Er verweist darauf, dass es bereits viele Modelle gibt, in denen Güter keinen alleinigen Besitzer haben, sondern sozial geteilt und sehr erfolgreich von Gemeinschaften zusammen im Interesse aller verwaltet und genutzt werden. Wichtig ist für ihn allerdings, dass mit einer Vergesellschaftung von Eigentum nicht automatisch sozial-ökologisch verantwortliches Handeln einhergeht. Neue Eigentumsverhältnisse müssen nicht zwingend zu sozialer Integrität und ökologisch verantwortbarem Wirtschaften beitragen. Diese gilt es, als oberste Ziele der Postwachstumsgesellschaft stets im Blick zu behalten.

Julia Bobinger