„Narrativität und Exegese“ – interdisziplinäres Projektseminar
Das Kompaktseminar diskutierte eine Verknüpfung moderner sprachwissenschaftlicher Erzähltheorien mit der christlichen Tradition des Erzählens.
Wie erzählt das Christentum?
Zweites interdisziplinäres Projektseminar des Elitestudiengangs »Ethik der Textkulturen« in der Schweiz (14. bis 19. September 2008)
Auch in diesem Jahr führten der Sprachwissenschaftler Volker Eisenlauer und der Evangelische Theologe Stefan Scholz wieder ein offen angelegtes Projektseminar in Sion/Schweiz durch, um Studierende aus Augsburg und Erlangen zur selbständigen wissenschaftlichen Forschung anzuleiten. Während im vergangenen Jahr Bibel und Hypertext aufeinander bezogen wurden, stand in diesem Herbst die Verknüpfung neuerer sprachwissenschaftlicher Erzähltheorien mit der christlichen Tradition des Erzählens auf dem Programm.
Das Christentum präsentiert seine wichtigste Botschaft, das Christusgeschehen, in der Form von vier Erzählungen, den Evangelien des Neuen Testaments. Warum ist das Erzählen für das Christentum so zentral? Welche Vorzüge hat die Erzählung gegenüber der Argumentation oder ist dies gar kein Gegensatz? Und wie verschieben sich biblische Erzählungen, wenn sie in neuen Kontexten nacherzählt werden? Das Seminar startete hierzu nicht mit fertigen Antworten, sondern betrat Neuland. Denn die ausgewählten Erzähltheorien (u.a. von Chave, Quasthoff, Ochs und Capps) wurden bisher noch nicht auf biblische Erzählungen angewendet. Dies erleichterte es den Teilnehmenden, selbst frei zu experimentieren und gewonnene Lösungsansätze kritisch zu diskutieren. Als Beispielerzählungen dienten unter anderem die alttestamentliche Jonageschichte sowie Wunderberichte des Markusevangeliums in ihren biblischen Textfassungen sowie der mündlichen Weitergabe in unterschiedlichen aktuellen Kontexten wie der Schulpädagogik, der Erwachsenenbildung oder auch in fundamentalistischen Frömmigkeitszirkeln.
Die aufgesuchten Erzähltheorien mit ihren methodischen Suchrastern unterstützten gerade auch die Studierenden ohne theologische Vorkenntnisse darin, biblische Erzählungen in ihrer Komposition zu durchschauen sowie christliche Gemeinschaften anhand ihrer Erzählweisen einzuschätzen. Neben zahlreichen Einzelbeobachtungen war eine Einsicht besonders wertvoll: Die richtigen Fragen stellen zu lernen und ein Gespür für die weiterführende Kommunikation mit fachfremden Gegenständen zu entwickeln, ist in der wissenschaftlichen Forschung mindestens genauso wichtig wie der flüchtige Besitz von inhaltlichem Wissen.
Volker Eisenlauer M.A./Dr. Stefan Scholz,
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