„Der Literaturkritiker Theodor Lessing und der Zionismus“ (9.7.)

„Der Literaturkritiker Theodor Lessing und der Zionismus“

am Dienstag, den 9. Juli findet um 18:00 Uhr ein Gastvortrag von Prof. Dr. Martine Benoit zu Theodor Lessing in Raum 2045, Gebäude N in der Informatik, statt.

 

Zur Person selbst:
Prof. Dr. Martine Benoit (Université Lille III) Studium an der Sorbonne und an der an der Ecole Normale Supérieure (ENS), Promotion 1994 in Lille („Theodor Lessing (1872-1933) – kritischer Zeuge des deutschen Judentums“), Habilitation in Lyon 2010 („Shoah, Literatur, Antifaschismus – die Erinnerung der Schriftsteller jüdischer Herkunft in der DDR“). Martine Benoit ist Professorin am Centre d’Études en Civilisations, Langues et Littératures Étrangères (CECILLE) der Université Lille III.
Sie hat u.a. Arbeiten zum Thema deutsch-jüdischer „Symbiose“ (Theodor Lessing, Heinrich Heine, Jakob Wassermann), Schreiben nach Auschwitz (Paul Celan, Nelly Sachs, Rose Ausländer), Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und der Shoah in der DDR (Günter Kunert, Fred Wander, Jurek Becker, Peter Edel, Anna Seghers) publiziert.

Der Literaturkritiker Theodor Lessing und der Zionismus 

(Martine Benoit / Lille)

An den Namen des Philosophen und Kulturkritikers Theodor Lessing erinnern sich heute nur wenige, die Geschichtsphilosophen zum Beispiel, die seine „logificatio post festum“ noch bemühen, also den Grundgedanken, dass nicht die Geschichte selbst einen verborgenen Sinn oder einen Kausalzusammenhang hat, sondern dass erst die Geschichtsschreibung im Nachhinein einen Sinn stiftet: „die Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen“, so der Titel eines seiner Werke; in der Judaistik irritiert der Verfasser vom 1930 erschienen Buch Der jüdische Selbsthass, dessen Titel den meisten genügte, um nicht weiter zu lesen. Vielen ist allein die Tatsache bekannt, dass Theodor Lessing zu den ersten jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gehörte, als er am 30. August 1933 in seinem Marienbader Exil durch sudetendeutsche Nationalsozialisten ermordet wurde.

            Im vorliegenden Vortrag soll nun Theodor Lessings Verhältnis zum Zionismus untersucht werden. Angefangen wird mit einfach klingenden Fragen, so nach dem Zeitpunkt, an dem Theodor Lessing anfing, sich für die zionistische Bewegung zu interessieren, oder nach der Rolle, die der Zionismus in seinem Leben spielte, hier vor allem die doppelte Vorstellung eines negativen Erlebnisses – der Zionismus als Reaktion auf den Antisemitismus – und eines positiven Erlebnisses – der Zionismus als Selbstachtung, Selbstbewahrung und Selbstbehauptung. Weiterhin soll dargestellt werden, inwieweit Theodor Lessings Auffassung eines linken Zionismus (er fühlt sich dem Poale-Zionismus nahe, er schreibt Artikel über „Theodor Herzl und Karl Marx“) und einer Rollenverteilung zwischen West- und Ostjuden („Das Herz Israels lebt im Osten, bei uns ist der Kopf“, um 1900) im Zusammenhang seiner philosophischen Theorien zu erklären sind. Nicht vergessen wird die tatsächliche Reise nach Palästina, da Theodor Lessing im Frühjahr 1932 eine Reise eintritt, die ihn nach Ägypten, Palästina und Griechenland führt: in Palästina bleibt er drei Wochen, an seine Frau und Tochter schreibt er: „Vom ersten Schritte an wusste ich mich geborgen und willkommen“. Die Arbeit im Theodor Lessing-Nachlass, den Dr. Rainer Marwedel 1984 für das Stadtarchiv Hannover ordnete, also die Heranziehung nicht nur edierter Werke, sondern auch unveröffentlichter Vorträge, Tagebücher, Kladden, Notizen und Briefe, wird uns im Laufe des ganzen Vortages begleiten.