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Tagungsbericht »Politische Literatur«

Politische Literatur: Debatten, Begriffe, Aktualität (4.–7.10.2017, Erlangen)

Tagungsbericht

Resümiert man die poetologischen und literaturwissenschaftlichen Debatten über den Begriff der ›politischen Literatur‹, wie sie im Grunde seit dem 19. Jahrhundert – mit verschiedenen Stoßrichtungen und in diversen Hochkonjunkturen der Diskussion – geführt wurden, so lässt sich eine dichotomische Struktur feststellen. Seit der Sattelzeit (Schiller, Goethe) – und bis zu Sartre, Adorno oder Enzensberger – dominiert eine oftmals polemische Entgegensetzung von ›ästhetischer Autonomie‹ und ›Engagement‹, von ›reiner Kunst‹ und ›Tendenzliteratur‹, von Poesie und Politik den Diskurs. Diese bestimmenden ›Leitdifferenzen‹ wurden bereits in der systemtheoretischen Analyse hervorgehoben. Andererseits hat es immer wieder Ansätze gegeben, die einer solchen Oppositionsbildung programmatisch entgegenzuwirken suchten – von der romantischen ›progressiven Universalpoesie‹ über Benjamins ›Haltung‹ und Brechts ›Eingreifendem Denken‹ bis zur Dichtung nach 1945 (Bachmann, Eich, Christa Wolf) und zeitgenössischen Autoren wie Juli Zeh, Kathrin Röggla, Christian Kracht oder der subversiven Netzliteratur.

Die Wiederaufnahme der Diskussion auf der Tagung ›Politische Literatur‹, die vom 4.–7. Oktober 2017 in Erlangen stattfand, hat gezeigt, dass eine dichotomisierende Konzeption des Gegenstands nicht weiterführt und letztlich nicht haltbar ist. Vor allem ist deutlich geworden, dass ein politischer Impetus der Literatur sich nicht unbedingt (allein) in einer inhaltlichen Fokussierung oder einer programmatischen Positionierung der Texte zeigt, sondern sich oftmals mittels einer Arbeit an der Sprache, einer diskurskritischen Verfahrensweise oder subversiver Strukturen präsentiert. Beide Dimensionen können sich dabei durchdringen, müssen es aber nicht zwangsläufig.

Um eine angemessene Erfassung des Gegenstandes ›politische Literatur‹ zu ermöglichen, bedarf es keiner grundsätzlich kategorialen, sondern vor allem einer heuristischen Systematisierung. Sie unterscheidet zwischen verschiedenen (gegebenenfalls dominanten) Möglichkeiten einer politischen Ausrichtung von Literatur, ohne dass dabei andere Dimensionen ausgeschlossen würden.

Mittels systematisch-theoretischer wie auch historischer Beiträge wurde im Rahmen der Tagung sowohl eine Revision des Begriffs ›politische Literatur‹ ermöglicht, wie auch poetologische Konzeptionierungen und literaturwissenschaftliche Modellierungen des Feldes in den Blick genommen wurden. Ziel war es, einen grundlegenden Beitrag zur kritischen Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung, zur aktualisierten Fundierung und zur definitorischen Neuverortung des Begriffs ›politische Literatur‹ zu leisten.

Will man in der literaturwissenschaftlichen Analyse nicht nur die inhaltliche Auseinandersetzung, sondern auch die ästhetischen Verfahrensweisen und die Wirkungsdimensionen politischer Literatur als wichtige Faktoren mit einbeziehen, so lassen sich – wie die Beiträge der Tagung deutlich gemacht haben – vier, lediglich heuristisch zu unterscheidende und sich immer wieder durchdringende Perspektiven bzw. Akzentuierungen  ausmachen, die das Politische als Reflexionsraum der Literatur in den Blick nehmen:

Die systematisch-theoretische Reflexion muss hierbei – auch das ein wesentlicher Erkenntnisgewinn der Tagung – stets die historische Kontextualisierung der literarischen Texte und gleichermaßen ihrer theoretisch-poetologischen Reflexion berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund wurde außerdem die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der politischen Perspektivierung literaturwissenschaftlicher Modellbildung und Geschichtsschreibung deutlich.

Die Beiträge und Diskussionen der Tagung werden in einem Tagungsband publiziert, dessen Erscheinen für 2018 im Metzler Verlag geplant ist.

Prof. Dr. Christine Lubkoll, Dr. Manuel Illi, Anna Hampel

Das Tagungsprogramm ist hier einsehbar: [klick] [1].